Die Wiedergeburt der Universität Lüneburg als Leuphana – Ein historischer Rückblick

von Caspar Heybl

Wenn die Leuphana Universität Lüneburg in Medien erwähnt wird, wird oft 2007 als ihr Gründungs- und Startjahr genannt. Zwar gibt es ›Leuphana‹ als Markenname und strategisches Konzept tatsächlich erst seit 2007 – aber die Universität Lüneburg existierte bereits lange vorher. Und auch wenn es – ob aus Unwissenheit oder Absicht – oft so dargestellt wird, als wäre die Leuphanisierung die einzige Rettung einer ›der schlechtesten deutschen Unis‹ gewesen, so war die Universität Lüneburg nach Ansicht des Autors zwar eine kleine und arme Provinz-Uni, aber gleichzeitig auch engagiert und erfüllte trotz aller Widrigkeiten ihre Aufgaben.

Wahr ist: Nach jahrelangem Trommelfeuer von politischen Akteuren und massiven Umbauten der unterfinanzierten Universität waren Ressourcen und Leistungsfähigkeit der Hochschule arg belastet. Der strategische Entwicklungsplan und das von der Werbeagentur Scholz&Friends entworfene, neue Corporate Design wurden von vielen als alternativlose Neu-Erfindung kommentiert, zumal Umfang und Geschwindigkeit der erneuten Veränderungen die Hochschulangehörigen überwältigten und kritische Stimmen nach fruchtlosem Widerstand die Uni verließen oder verstummten.

Werfen wir einen Blick auf die Vorgeschichte – die ist im Vergleich mit derer klassischer Universitäten aus dem Mittelalter recht kurz. 1946 wurde auf Veranlassung der britischen Besatzungsmacht in Lüneburg eine pädagogische Hochschule (PH) gegründet. Deren Studierende waren von Anfang an in der Verfassten Studierendenschaft organisiert, die von den Alliierten als wichtiger Akteur der politischen Bildung eingerichtet wurde, Stichwort ›Re-Education‹.

Diese Hochschule, an der nur angehende Lehrkräfte studierten, wurde 1978, nach kurzem Intermezzo in der ›Pädagogischen Hochschule Niedersachsen‹ zu einer wissenschaftlichen Hochschule mit Promotionsrecht und Diplom-Pädagogik als zusätzlichem Studiengang. 1989 kam dann die Aufwertung zu einer echten Universität. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch bereits Wirtschafts-, Sozial- und Kulturwissenschaften gelehrt. Insbesondere der Magisterstudiengang ›Angewandte Kulturwissenschaften‹ entwickelte bundesweite Ausstrahlung und konkurrierte mit anderen Standorten – beispielsweise der Uni Konstanz, am anderen Ende der Republik.

Der Kulturwissenschaftsschwerpunkt ›Ökologie und Umweltbildung‹, allgemein nur ›Öko-Kuwi‹ genannt, führte dann in den 90ern zur Gründung der Umweltwissenschaften, des ersten Studienprogramms in Deutschland, das Umweltfragen wirklich interdisziplinär anging (im damaligen Diplom noch mit einem höheren Anteil an Naturwissenschaften als in späteren Bachelorprogrammen). Auch dieses Angebot wurde schnell angenommen und erwarb sich einen bundesweiten Ruf.

Nachhaltigkeit – ein alter Hut

Diverse weitere Maßnahmen machten die Universität Lüneburg zu einer Vorreiterin in Sachen Nachhaltigkeitsorientierung an Hochschulen. Der Beitritt zur COPERNICUS-Charta der europäischen Hochschulrektorenkonferenz, die bereits zur Jahrtausendwende vom Senat verabschiedeten Nachhaltigkeitsrichtlinien, das umfangreiche von der Bundesstiftung Umwelt finanziell geförderte Projekt ›Agenda 21 und die Universität Lüneburg‹ (aus dem unter anderem Umweltmanagementsystem und EMAS-Zertifizierung der Uni hervorgingen), die Einrichtung des UNESCO Lehrstuhls zu ›Hochschulbildung für eine nachhaltige Entwicklung‹ als einem der ersten in Deutschland und nicht zuletzt die vielen von Studierenden organisierten Projekte und Initiativen (wie z.B. die erste Photovoltaikanlage der Uni auf Gebäude 9, die Fahrradselbsthilfewerkstatt der Verfassten Studierendenschaft ›KonRad‹) werden bundesweit wahrgenommen. Selbst die Einführung des Semestertickets wurde mit den Daten aus der Mobilitätsforschung eines Projektseminars im Rahmen der BSU-Förderung maßgeblich ermöglicht. Nachhaltigkeit war (und ist) ein fester Bestandteil sowohl des Alltages als auch der strategischen Ausrichtung der Hochschule.

Mit den vier großen Fachbereichen für Umweltwissenschaften, Kulturwissenschaften, Wirtschaft und Erziehungswissenschaften hatte sich damals die Binnenstruktur etabliert, die bis heute besteht. Auch wenn Fachbereiche durch Fakultäten ersetzt wurden und die aktuellen Bezeichnungen leicht variieren: die jetzige Fakultätsstruktur der Leuphana ist keine Neustrukturierung, sondern schreibt lediglich die existierenden Strukturen fort.

Die vergessene Hochschule

Wer oftmals unter den Tisch fällt, ist die Fachhochschule Nordostniedersachsen (kurz: FH NON). Diese FH wurde 1971 gegründet, auf Grundlage zweier technischer Akademien in Buxtehude und Suderburg, 1978 kam dann Lüneburg als Standort mit Sozialwesen und Wirtschaftswissenschaften hinzu und wurde 1981 zum Hauptsitz der FH, gerüchtehalber aufgrund von Planungen für eine ›Gesamthochschule‹. Die Idee einer Gesamthochschule in Nordostniedersachsen – oder noch spezifischer Lüneburg – war bereits 1969 aufgekommen und 1980 beerdigt worden, wurde aber in den 2000er Jahren erneut aufgegriffen.

1992 kam dann noch ein ingenieurwissenschaftliches Angebot hinzu, für welches der Neubau in Volgershall errichtet wurde, natürlich auch mit öffentlichen Mitteln (ca. 22 Millionen Euro). Herzstück des Neubaus: die Maschinenhalle, die maßgeschneidert wurde für die Großgeräte, die im technischem Studium benötigt wurden. Die FH NON galt als Erfinderin der Studiengänge ›Wirtschaftspsychologie‹, ›Wirtschaftsrecht‹ und ›Wirtschaftsinformatik‹, die schnell überregionales Renommee erwarben und stark nachgefragt wurden. Der Standort Suderburgs erfreute sich sogar außerordentlicher Nachfrage aus dem außereuropäischen Ausland. Neben beachtlichen Drittmittel-Einwerbungen konnte die Fachhochschule mit moderner Personalpolitik aufwarten. So war die Gleichstellungspolitik sehr erfolgreich und mehrfach ausgezeichnet, der Anteil von weiblich besetzten Stellen und insbesondere Lehrstühlen war deutlich überdurchschnittlich.

Schließung der Universität?

Das Damoklesschwert, das jahrzehntelang über der Universität hing, war die Schließung. Dieses Argument wurde immer dann geschwungen, wenn Lüneburg mal wieder als Versuchskaninchen herziehen sollte, und zieht sich als roter Faden durch Gremiensitzungen, Debatten in Instituten und Lehrstühlen, in studentischen WGs, auf öffentlichen Podien, an Stammtischen, sowie durch redaktionelle Kommentare und Leserbriefe; selbst in Landtagsdebatten taucht dieses Gerücht auf.

Bereits seit Beginn der 90er wurde in der Landeshauptstadt Hannover über die Schließung einer Hochschule in Niedersachsen gemunkelt, wenn aufgrund des demographischen Wandels die Zahl der Studierenden um das Jahr 2025 sinken sollte. Als Abschusskandidat wurde dann ›natürlich‹ die Universität Lüneburg genannt. ›Natürlich‹, weil die Universität angeblich aufgrund unterdurchschnittlicher Forschungsleistung und Mangelfinanzierung nicht wettbewerbsfähig sei. Noch weitaus prekärer war vermutlich aber die Situation der Hochschule Vechta, die aufgrund ihres Status, ihrer Größe (einige hundert Studierende) und Lage auch schon mal als Bauernhochschule und ›Hostienversuchsbäckerei‹i verunglimpft wurde. Prekärer, da der Wissenschaftsrat, immerhin das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium, in Gutachten eine schnellstmögliche Schließung forderte. Diese Hochschule ist nun die Universität Vechta, die mit Wachstumskurs und innovativen Studiengänge zeigt, dass Totgesagte oftmals länger leben – und dass bildungspolitische Prognosen oftmals weit danebenliegen.

So hat sich die Studienanfängerquote in Deutschland von etwa 33% im Jahr 2000 auf über 45% erhöht, ohne dass die Politik hierfür adäquate Vorsorge getroffen hatte (Ausstattung mit Studien- und Wohnheimplätzen, Betreuungsquoten, etc.). Demographische Vorhersagen im Bildungsbereich könnten in ihrer langfristigen Genauigkeit also auch davon abhängen, wieviel Geld das Finanzministerium ausgeben will.

Schwerter zu Pflugscharen

Um den Platzbedarf der aus allen Nähten platzenden Universität zu decken (Quellen sprechen von bis zu 400% Auslastung), wird die Scharnhorst-Kaserne in einem Konversionsprojekt als Campus umgebaut. Dieses Bauvorhaben wird in der Lokalpolitik als wichtigstes Bauprojekt der Nachkriegszeit bezeichnet und später dann auch stolz auf der Weltausstellung EXPO 2000 der Weltöffentlichkeit als vorbildhaft für die friedlich-zivile Umnutzung ehemaliger Militäreinrichtungen präsentiert. Auch das Argument, mit der Konzentration aller Einrichtungen der Uni an einem Standort einen echten Universität-Campus zu schaffen, war bereits explizit benannt. Die Kosten für die Konversion lagen bei etwa 80 Millionen DM, also ungefähr 40 Millionen Euro.

Arm, aber sexy

Der neue Campus wird mit Begeisterung angenommen und steigert die Attraktivität der Universität weiter. Viele Studieninteressierte nennen als explizite Motivation für eine Bewerbung den überschaubaren Campus als echte Alternative, beispielsweise zur anonymen Massenabfertigung in der Betonburg der Universität Hamburg. Die Anzahl der Bewerbungen übersteigt in den meisten Studiengängen die Plätze um ein Vielfaches, fast alle Angebote sind zulassungsbeschränkt. Wurden mehr Studienplatzzusagen angenommen als prognostiziert, waren Studiengänge auch schnell mal überfüllt. Dass das Lehrangebot in den meisten Studiengängen so knapp wie möglich kalkuliert ist, stellenweise auch erhebliche Lücken aufweist, ist kein besonderer Mangel der Heidehochschule, sondern sollte als besonders ausgeprägtes Beispiel für die flächendeckende Unterfinanzierung der deutschen Hochschullandschaft (Stichpunkt: Öffnungsbeschluss 1977) gelten.

Allerdings konnte die Universität Lüneburg regelmäßig große Teile der sogenannten ›Überlastmittel‹ abrufen, die das Land Niedersachsen für solche Unterversorgung in der Lehre bereit stellte. Inwiefern sich hier eine bewusste Strategie zeigte, die Universität mittels ›Masse statt Klasse‹ zu betreiben und den Leidensdruck der Hochschulangehörigen zu nutzen, um politischen Druck auf das Land auszuüben, sei hier offen gelassen.

Perfektion der Selbstausbeutung

Trotz deutlich schlechterer Personalausstattung konnte die Universität in vielen Bereichen mit anderen Hochschulen im Bundesland mithalten. Bei den üblichen Kriterien für ›Qualität‹ an Hochschulen schneidet die Universität gar nicht so schlecht ab: Bei Abbrecherquote, Studiendauer, Absolventenquote und anderen Kriterien landet die Uni im Landesvergleich oft im Mittelfeld. Auch die Qualifikation der Absolvent*innen scheint weder auf dem Arbeitsmarkt, noch in Behörden, Schulen und Forschungskarrieren Anlass zu vermehrter Kritik zu geben. Eine Dozentin prägt eine passende Bezeichnung für diesen Effekt: Diese beruhen auf der ›Perfektion der Selbstausbeutung‹ bei großen Teilen des (Lehr-)Personals. Die lang erwartete, ›formelgebundene Mittelverteilung‹, bei der die Finanzierung der Hochschulen durch das Land zum Teil an ihre Leistungsdaten gekoppelt werden soll, hätte dies wohl belohnt. Jedes Rechenmodell, das in Hannover durchgespielt wird, würde zu teils geringen, teils drastischen Erhöhungen des Uni-Etats führen, so wird der Stand der Arbeit im Ministerium der Universität zugetragen. Dass die Formel dann mit einigen Jahren Verspätung kam, und auch nur wenige Prozente des Jahresetats betraf, mag dann auch dem politischen Gewicht Lüneburgs in Hannover geschuldet sein. Personen mit Einblick in die Landespolitik vermuten, dass Lüneburgs Mangelausstattung auch auf ganz banale Aushandlungsprozesse in Parlament und Landesregierungen zurückgeht, bei denen die Region Nordost-Niedersachsen einfach weniger Gewicht hat.

Versuchskaninchen im Dauerstress

Ob diese beständige Drohung mit der Schließung nun begründet war oder nur hohle Drohkulisse, die Universität wurde zu mehreren grundlegenden Versuchen mit Modethemen der aktuellen hochschulpolitischen Paradigmen gedrängt.

Als erstes wäre da die Umwandlung in eine Stiftung zu nennen. Dieses Modell, bei dem die Trägerschaft einer Hochschule vom Land an eine Stiftung öffentlichen Rechts abgegeben wird, wurde 2002 in der Komplett-Überarbeitung des Hochschulgesetzes NHG unter Wissenschaftsminister Oppermann (SPD) eingeführt. Minister Oppermann zeigte sich in Medienberichten beeindruckt vom Stiftungsvermögen der großen Ivy-League Universitäten wie Harvard und wollte dieses Vorbild in Deutschland nachahmen. Der Gesetzgeber versprach sich von Stiftungshochschulen neben einer marktfähigeren Profilbildung auch größere Spendenbereitschaft der Privatwirtschaft. Die Idee? Da die Zustiftungen vor einem direkten Zugriff des Finanzministers sicher sind, wären solvente Spender*innen sicherlich viel spendabler. Eine Idee, die dann später in der Fachwelt als weit übersteigerte Hoffnung beerdigt wurde. Dass das Land einfach die Finanzierung im gleichen Maße senken könnte, wurde verneint, immerhin sähe das Gesetz eine ›angemessene Finanzierung‹ vor. Das Argument, ›eine Stiftungsuni kann das Land nicht einfach schließen‹, gab dann vermutlich den Ausschlag für die Zustimmung – dies und ein Geheim papier. Denn damit es im akademischen Senat eine Mehrheit für den Antrag auf die Überführung in eine Stiftung gab, mussten auch konservative Professoren zustimmen… und die studentischen Senatoren. In klandestinen Geheimverhandlungen wurden von diesen ›Oppositionellen‹ mit der Hochschulleitung mehrere strukturelle Zugeständnisse für Grundordnung und Universität ausgehandelt. Mittlerweile sind diese Punkte entweder durch Veränderungen der Binnenorganisation überholt – oder schlicht in Vergessenheit geraten. 2003 wurde die Uni Lüneburg dann also zusammen mit vier anderen Hochschulen in die Trägerschaft einer öffentlichen Stiftung übergeben. Wie autonom und selbstständig diese neue Stiftung tatsächlich war, wurde dann zum Jahresende durch die neue, CDU/FDP-geführte Landesregierung klargemacht. Mit dem zynisch ›Hochschuloptimierungsprogramm‹ getauften Sparprogramm wurden in Niedersachsen 50 Millionen Euro Sofortkürzungen im Hochschulbereich angekündigt. Dabei wurden an allen Hochschulen, ob Stiftung oder Landesanstalt, Stellen und Studienplätze gestrichen, es gab massenhafte Vorgaben zu Studiengangsentwicklungen, auch Verlagerungen oder direkte Schließungen wurden angeordnet.

Der Stiftung Universität Lüneburg wurde die gesamte Fachhochschule Nordostniedersachsen einverleibt (mit Ausnahme des Standortes Buxtehude, welcher kommentarlos geschlossen wurde). Darüber hinaus wurden ihr diverse Vorgaben zum Studienangebot gemacht. Und sie wurde, aus heiterem Himmel und ohne Anpassung der Grundfinanzierung, zur ›Modellhochschule für den Bologna-Prozess‹ erklärt und sollte sämtliche Studiengänge in kürzester Zeit auf Bachelor/ Master umstellen. Der vom Minister für die Moderation und Durchführung der Fusion eingesetzte Thinktank der Bertelsmann-Stiftung, das ›Centrum für Hochschulentwicklung‹ machte dann auch gleich klar, was er mit der Universität anstellen will: In der Süddeutschen Zeitung erschien ein ganzseitiger Kommentar des CHE-Chefs Detlef Müller-Böning, in dem er die Schaffung der ersten echten Gesamthochschule Deutschlands begrüßte. Die Mitwirkung seines Beratungsunternehmens an dieser ›Innovation‹ fand merkwürdigerweise keine einzige Silbe Erwähnung.

Die im Rahmen der Fusion eingeführten gestuften Studiengänge wurden zur Eröffnung von allen Fraktionen des Landtages ausdrücklich als vorbildhaft gelobt. Zwei Jahre später wurden sie dann von der neuen Hochschulleitung als mangelhafte Umsetzung des Bologna-Gedanken herabgeputzt und dann komplett durch das Leuphana-Studienmodell ersetzt.

Der zur Schließung freigegebene FH-Standort Buxtehude der FH NON wurde übrigens aufgrund regionaler Proteste und Bedürfnisse als private, studiengebührenpflichtige ›Hochschule 21‹ weitergeführt. So ganz nebenbei konnte hier also eine echte Hochschulprivatisierung beobachtet werden. Der Standort Suderburg, dessen materielle Ausstattung Stiftungsvermögen darstellte, wurde dann auch einige Jahre später form- und klaglos an die Fachhochschule Braunschweig/ Wolfenbüttel (heute Ostfalia) abgegeben; über einen Ausgleich für das abgetrennte Stiftungsvermögen ist nichts bekannt.

Wie schließe ich eine Uni?

Wie real und gefährlich war denn nun die Androhung der Schließung? Machen wir ein schnelles Gedankenexperiment und spielen als Wissenschaftsministerium eine Universitäts-Schließung durch. Vermutlich werden im Folgenden ein oder zwei (personal-)rechtliche Details unsauber behandelt, aber um den Problemumfang grob zu umreißen, sollte eine oberflächliche Betrachtung reichen. Das Vorhaben ist eigentlich ganz einfach: Es müssen nur eine Anstalt des Landes (oder Stiftung öffentlichen Rechts) geschlossen, alle Studiengänge aufgelöst, alle Personen entfernt, alle Verträge gekündigt, das Inventar verhökert und ein paar Gebäude samt Grundstück abgestoßen werden. Die resultierenden Folgen in der Region sind zwar auch erheblich, aber nicht in unserer Zuständigkeit als Wissenschaftsministerium.

Fangen wir mit der größten und aus Sicht der Politik wohl auch unwichtigsten Gruppe an: den Studierenden. Wem der Studiengang geschlossen wird, hat dennoch das Anrecht, diesen in angemessener Zeit zu beenden – als Daumenregel setzen wir eine Frist von Regelstudienzeit plus vier Semester. Mit dem damals üblichen Diplom und Magister wären dies dann bis zu 6,5 Jahren – es dauert also einige Jahre, bis die Uni abgewickelt ist. Alternativ können die Studiengänge auch verschoben werden, wie es z.B. im Hochschuloptimierungskonzept mit dem Lehramt an der Uni Hannover geschah, dieses wurde nach Hildesheim verlegt – Studierende können ja pendeln. Das ist natürlich nicht möglich für Studiengänge, die es so kein zweites Mal gibt – in Lüneburg waren dies unter anderem Umweltwissenschaften, angewandte Kulturwissenschaft, Wirtschaftspsychologie und -recht. Professor*innen: Da diese verbeamtet sind und das auch meist auf Lebenszeit, ist eine Entlassung nur schwer durchführbar, also versetzen wir sie einfach an andere Hochschulen im Bundesland. Ihre Forschungsvorhaben können sie mitnehmen, vielleicht ist ihre neue Uni auch so nett, ein oder zwei Mitarbeiter zu übernehmen. Ob Drittmit telprojekte mitgenommen werden könnten, hängt vermutlich vom Geldgeber ab… haben wir Glück, bewerben sie sich in einem anderen Bundesland, aber nicht zu schnell, denn es muss noch Lehrangebot für die auslaufenden Studiengänge verbleiben. Mit allen anderen Lehrenden und Angestellten ist einfacher zu verfahren: Wer nicht sowieso befristet angestellt ist, erhält halt eine Kündigung. Auch hier gilt: Ein paar Leute müssen bleiben – für die Auslaufbetreuung. Nun haben wir noch die Ausrüstung: im Falle der Universität Lüneburg unzählige Büroausstattungen, Zentral- und Institutsbibliotheken, ein Rechenzentrum voll mit Computern, Servern und Multimedia-Ausstattung, ein Stockwerk voll mit Chemielabor… Ein paar Stunden auf Ebay, ein oder zwei Flohmärkte sollten das ganze erledigt haben – wobei, Moment, die öffentliche Hand darf nicht so einfach ihr Inventar verhökern (sonst könnte sich so manches Gymnasium mit dem Verkauf der eingelagerten Lehrmittel aus der Kaiserzeit sanieren). Rufen wir also die Müllabfuhr und bestellen ein paar (Hundert) Container für Sperrmüll.

Bleiben noch die Gebäude: der Campus ist mit erheblichen Mitteln ausgebaut worden, um für eine Bildungseinrichtung mit mehreren tausend Menschen Platz zu bieten. Eine sinnvolle Nachnutzung muss also Verwendung für Hörsäle, Labore, Büros und Bibliothek haben. Vielleicht will eine private akademische Einrichtung z.B. die Jacobs University eine Außenstelle eröffnen?

Das Studentenwerk OstNiedersachsen (früher STW Braunschweig), mit seinen unter enormem finanziellen Kraftaufwand gebauten Wohnheimen mit Hunderten von Plätzen, stände ansonsten auch im Regen. Aber die finanzielle Lage der Studentenwerke hat in Hannover in den letzten Jahrzehnten eher selten Interesse gefunden… Ob das obige Szenario realistisch ist, lässt sich schnell überprüfen, indem man es mit den bisherigen Hochschulschließungen in der BRD vergleicht. Hier finden sich neben der Abwicklung von akademischen Institutionen aus der DDR eigentlich keine richtigen Schließungen. Abgesehen von Kleinst-Hochschulen finden sich mit den Pädagogischen Hochschulen Lörrach und Esslingen gerade mal zwei Beispiele einer echten Schließung ohne Überführung der Einrichtung oder zumindest von Lehrangeboten in benachbarte Hochschulenii.

Ein pikantes Detail der Angelegenheit ist, dass seit der Jahrtausendwende rechnerisch bereits ein bis zwei Hochschulen im Bundesland verschwunden sind. Durch das „Hochschuloptimierungskonzept“ sind landesweit etwa 1200 Stellen und genug Studienplätze wegoptimiert worden, um in der Summe eine kleinere Hochschule zu ergeben. Und zum anderen ist die FH NON als eigenständige Institution nun verschwunden, obwohl ihr nie mit der Schließung gedroht wurde… Als Fazit kann also die Erkenntnis bleiben, dass mit genug politischem Druck und Zwang die Hochschulautonomie immer hinter dem Landeshaushalt zurückstehen muss. Und dass Hochschulen so gut wie nie geschlossen werden, mag wohl dem Punkt geschuldet sein, dass Kürzungen organisatorisch gesehen viel einfacher sind als eine komplette Schließung. Was man aber auch nicht aus den Augen verlieren sollte ist der Fakt, dass die Universität sich trotz wenig Unterstützung seitens des Landes gut geschlagen hat.

 

Caspar Heybl hat 1998 mit großer Begeisterung sein Studium in Diplom-Umweltwissenschaften in Lüneburg begonnen, wechselte aber später auf Erziehungswissenschaften. Schon in seinem ersten Semester wurde er zum Referenten des Ökologiereferats – heute als Öko?-logisch! bekannt – im AStA gewählt. Seitdem hat er sich bis zur Schließung seines Studiengangs für progressive Hochschulpolitik eingesetzt, dabei den Werdegang der Universität mitbegleitet und möglicherweise sogar mitgestaltet. Caspar hatte so einige hochschulpolitische Ämter inne: von der Tätigkeit als AStA-Sprecher, über die Mitgliedschaft und den Vorsitz im Studierendenparlament, bis hin zum Engagement in Fachschaft, Fakultätsrat, Senat, Studienkommission, im Studentenwerk Ostniedersachsen, sowie im Studierendendachverband fzs und vielen anderen Gremien.